Achtung Wanderbaustelle!
Eine Baustelle, vor allem im Straßenverkehr oder im Fußgängerbereich ist stets ein Hindernis, meist sogar ein Ärgernis. Sie fordert Geduld von Autofahrern und Fußgängern, weil sie Schmutz und Lärm verursacht, zu verengten Fahrbahnen und zu hohem Verkehrsaufkommen führt und das zügige Vorankommen massiv behindert. Ein Stau ist sehr oft die unmittelbare, lästige und zeitraubende Konsequenz. Überraschend und unverhofft wirkt eine Baustelle mitten im Ausstellungsbereich. Natürlich hat sie hier – anders als im Außenbereich – keine unmittelbare Funktion. Hier geht es nicht um Reparatur- oder Ausbesserungsmaßnahmen in den Ausstellungsräumen. Die Baustelle verweist zwar primär auf den unmittelbaren Ort, den Baustellenplatz, bezieht jedoch darüber hinaus das Œvre der Künstlerin Chris Nägele ein und ist Teilkomponente der Ausstellung. Versatzstücke aus dem realen Baugewerbe – weiß-rote Absperrungen und Asphaltstücke – verknüpfen die Alltags- mit der Kunstwelt in diesem Objekt, gehen ineinander oder stehen sich wechselseitig gegenüber. Die künstlerische Tätigkeit manifestiert sich in den farbigen, vielfältig geschlungenen, einen lockeren Formkanon einnehmenden Neonröhren. Grundsätzlich versucht Nägele in ihrem Schaffen bis an die Grenzendes Glas-Gas-Materials zu gelangen und mit Neonröhren fragile, farbintensive Linien zu „zeichnen“, teils zur Akzentuierung einer vorhandenen Linie, teils um neue Linien im Raum zu definieren.

Innerhalb des Objekts Wanderbaustelle hat Nägele zwei Herangehensweisen: zum einen nehmen Neonröhren die Form einer realen Kabeltrommel an, sind um diese geschlungen und gewunden wie ein Elektrokabel. Die bearbeitete Neonröhre hat somit den Platz eines realen Gegenstandes eingenommen. Anders die Neonröhre, die unvermittelt im mittleren Bereich der weiß-roten Baustellenbegrenzung auf dem Boden liegt. Welche Bauarbeiten im Einzelnen mit der fragilen Leuchtröhre bezeichnet werden, bleibt – zwar hell erleuchtet durch das Neonlicht -, aber im Dunkeln der Erkenntnis. Hier wird ein Baustellenabschnitt per se bezeichnet, den Realbezug erwirkt die Künstlerin durch originale Bruchstücke von Straßenasphalt. Zusätzlich wird diese Baustelle mit einem künstlerisch umgestalteten Verkehrsschild markiert, welches auf die ordnungsgemäßen Bauarbeiten hinweist. Weitere Vorsicht gebietende Schilder wurden von der Künstlerin gleichsam gestaltet und in den Baustellenabschnitt integriert. Neben dem direkten Ausstellungsbezug ironisiert der „Schilderwald“ auch die Vielzahl der Verkehrsschilder in Deutschland, die alle auf Verbote und Gebote hinweisen und deren Übertretung teuer werden kann. Vorwiegend sind es humorvolle Titel, die die Tafeln tragen: Das Schild Wanderbaustelle zeigt das Signé eines Wanderers und bezeichnet damit gleichzeitig den Titel der Gesamtarbeit. Weitere Zeichen heißen: Individualbau. Seine Darstellung steht mit dem Ausstellungshaus in Wendlingen in Verbindung. Die Lichtschleuder markiert humoristisch die mögliche „Gefahr“, die von der im Baustellenbereich liegenden Neon-Kabeltrommel ausgehen könnte, obwohl das Originalschild auf die im Strassenverkehr unmittelbare Schleudergefahr von Fahrzeugen hinweist. Zuletzt das Verkehrsschild Publikumsstau. Es weist auf ein positives Phänomen hin. Der Stau – unliebsam im Straßenverkehr – wäre im Ausstellungszusammenhang für die Künstlerin und die ausstellende Intuition wünschenswert, zeugt diese Tatsache doch von einem regen Kunstinteresse. |
Ilonka Czernyn

Biographisches
1960 > in Pforzheim geboren | 1982 > Abitur | 1982-85 > Ausbildung zum Steinbildhauer | 1985 > Gesellenprüfung | 1988-95 > Studium der Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart | 1989-94 > Studium der freien Bildhauerei an der Kunstakademie Stuttgart bei Prof. Inge Mahn und Jürgen Drescher | 1993 > Stipendium an der Vysoká Skola Vy'tarny'ch Umenì, Bratislava bei Prof. Josef Jankovic | 1994-97 > Aufbaustudium der Bildhauerei bei Prof. Henk Visch | seit 1997 Freischaffende Künstlerin

Projekte
1993 > Landart Nordland / Norwegen, Gemeinde Balangen | 1994 > Istroprojekt, Bratislava | 2002 > Haus der Begegnung – Dar el Hiwar, Goethe-Institut, Kairo/Alexandria | 2003 > Hybridité, Université du Caire, Giza

Ausstellungsbeteiligungen & Einzelausstellungen (Auswahl)
1989 > „Künstler im Rathaus“, Rathaus Stuttgart | 1994 > „Istroprojekt“ im Dome Kultùry, Bratislava | 1995 > Ausstellung im Burgenlandzentrum, Feuerbach | 1996 > „Wohnzimmern“, Los Angeles | 1996 > „Atelierhaus“ Sindelfingen | 1996 > „editionen auf Papier“, GEDOK - Galerie Stuttgart | 1996 / 97 > „Eine ganz andere Bibliothek“, Galerie unterm Turm, Stuttgart | 1997 > Symposium in Weingarten | 1998 > „3d“, kunstvereinhürth e.v. | 1998 > „In Augenhöhe“, Reichenauer Künstlertage 1998 | 1999 > „Kunsthalle“ Heidelberger Kunstverein | 1999 > „9. Kunstpreis Ebersberg“ im Kunstverein Ebersberg | 1999 > „Chaos“ Einzelausstellung in der Galerie Insel, Stuttgart | 2000 > „Stuttgart 22“, Atelierhaus Stuttgart | 2000 > „3 (***)“, Schwörhaus Esslingen | 2000 > „Eiszeit“, Kunstverein Stuttgart 22 e.V. | 2000/01 > „Junge Kunst für junge Sammler“, Stuttgart | 2001 > „Ecklichter“, GEDOK-Galerie, Stuttgart | 2001 > „Chris fängt Fische“, Galerie Insel, Stuttgart | 2001 > „WORK ART 2001“, Flughafen Stuttgart | 2001 > „Perplex“, Kunsthalle Bonn | 2001 > „Release“, Stuttgart | 2002 > „Schwerpunkte“, Alte Kelter, Fellbach | 2002 > „Stuttgart im Blick“ LBBW , Stuttgart | 2002 > „Lichtfall und Raumbeben“ Galerieverein Leonberg | 2002/03 > „Kurvenreich“ Städtische Museen Heilbronn | 2003 > „Kurvenreich“ Galerie der Stadt Tuttlingen | 2003/04 > „Kurvenreich“ Kunst-Raum-Akademie Tagungshaus Weingarten | 2004 > „Kurvenreich“ Kunsthalle Erfurt

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